Die Rolle der Polizei im säkularen multikulturellen Staat
Von Peter Kremer
Eingangsfrage
Die Gesellschaft wird immer freier, damit heterogener und multikultureller.
Wohl nicht das Gemeinwesen – aber doch der Ein oder Andere wünscht sich vielleicht, dass die Polizei einen vernünftigen Umgang mit dieser Freiheit erzwingt. Der Wunsch richtet sich an die einzige Organisation im Staat, die gegenüber der Bevölkerung Gewalt anwenden darf, das Gewaltmonopol hat und auch Gewalt anwendet.
Wenn die Staatsziele – bzw. Leitkultur – aber mit Gewalt durchgesetzt werden – hätten wir bald keinen freiheitlichen Staat mehr. Ich könnte es Ihnen kurz und mir einfach machen und darauf hinweisen, dass die Polizei Gewalt nur vernünftig und rechtsstaatlich anwendet. Wir müssen oder sollen ja vieles richten … Da mir aber mehr Zeit eingeräumt wurde, möchte ich etwas tiefer beleuchten.
Zum Verständnis möchte ich auf 3 Punkte eingehen:
- die Entwicklungsgeschichte Polizei und der öffentlichen Ordnung
- der polizeilichen Arbeit in der multikulturellen Gesellschaft
- der sogenannten Polizeikultur
und
- ein Fazit ziehen
Entwicklungsgeschichte der Polizei und der öffentlichen Ordnung
Geschichte
Etymologisch stammt der Begriff Polizei vom griechischen POLIS – Stadt. Bis zum Mittelalter war Polizei der Inbegriff des Staates. Zuständig für Gefahrenabwehr in allen Lebensbereichen. Egal ob fürsorglich oder repressiv. Im Sprachgebrauch sind heute noch Mahnungen an den Bürger, die mit der Polizei kaum zu tun haben (feuerpolizeilich, gesundheitspolizeilich, baupolizeilich – auch fremdenpolizeilich usw.).
Mit dem Liberalismus hat sich die Polizei aus dem Privatleben der Bürger zurückgezogen. Der Bürger entfaltet seine Persönlichkeit eigenverantwortliche. Unter Polizeistaat wird ein übermäßig repressiver Staat verstanden. Der Staat schützt nur noch Freiheit und Eigentum oder die öffentliche Ordnung ( „wehrt Gefahren ab, die den Einzelnen oder das Gemeinwesen in öffentlicher Sicherheit und Ordnung bedrohen…/§ 1 PolG BW)..
Nach 1945 leiteten die Amerikaner mit den 4 D-Prinzipien eine moderne Polizeistruktur ein:
- Denazifizierung (Parlament statt Führer)
- Dezentralisierung (Ländersache statt Staatspolizei)
- Demokratisierung (verfassungsrechtliche Grundbildung, Schwur auf das Grundgesetzt und die Landesverfassung)
- Demilitarisierung (Dienstgrade z.B. Revierleiter, Symbole, Verbandsbezeichnungen, Uniformbild)
Im Gegensatz zur Meinungskontrolle durch Blockwart und geheimer Staatspolizei geht es also um das öffentliche Gemeinwohl (Sicherheit und Ordnung).
Seit 1945 haben alle Länderpolizeien mehrere Polizeireformen hinter sich und sind grundsätzlich dem Innenminister unterstellt. Nicht die herrschende Obrigkeit sondern die Bürgerpolizei steht im Vordergrund.
Das Dienstleistungsunternehmen Polizei wird mit modernen Managementmethoden durch dafür hervorragend ausgebildete Polizeimanager geführt.
Balance Scorecard und Vergleichsringe, Delikts-Monitoring und Dopik und Budget, Bürgerumfragen, Mitarbeitergespräche, Ziel-und Leitbildprozesse sind übliches Handwerkzeug (die das Polizeipräsidium auf Platz 1 in BW geführt haben…).
Zur Durchsetzung ihrer Maßnahmen hat die Polizei das Gewaltmonopol. Widerstand ist strafbar. Mißbrauch des Gewaltmonopols zieht eine Reihe von Amtsdelikten nach sich. Polizei wird i.a.R. mit erkennbaren Polizeibeamten tätig.
Meist arbeiten wir als Notfallhilfe mit eigenem Notruf .Dazu gehört die Gefahrenabwehr für alles was verboten ist. Dem Grundrecht nach, soll jeder nach seiner Fasson leben können Wer sich rechtstreu verhält, wird vom Staat in Ruhe gelassen – aber nicht unbedingt gefördert. Auch Anarchisten, die Bewegung der Reichbürger, Salafisten, die AfD – gut, das war jetzt ein schlechtes Beispiel – aber nicht falsch zu verstehen. Die AFD wird im Ergebnis einer Wahl wie alle demokratischen Parteien gefördert.
Naturgemäß ist die Frage, was erlaubt oder verboten- was Gemeinwohl ist - dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen:
- 1960 wurde die Polizei ins Schwimmbad gerufen, wenn sich eine Frau oben ohne zeigte. 1970 wurde abgestimmt, wer sich ausziehen muss.
- Gewalt im sozialen Nahraum wird erst seit ca. 10 Jahren als polizeiliche Aufgabe mit Platzverweis, Wohnungszuweisung, Näherungsverbot und Schutzwohnungen bekämpft.
- Die Debatte „legalize it“ für legalen Drogenkonsum greift um sich.
- Fahrer zeigen Gutachten vor, dass Sie bekifft fahren dürfen
- In einbruchsbelasteten Regionen wird zur Bürgerwehr gerufen
- In Düsseldorf begleitet das Fernsehen eine „Scharia-Streife“
- Es beginnt eine öffentliche Diskussion zum Hidjab- also Kopftuchverboten- und die Schwimmbadsaison beginnt mit der Frage, ob man mit der Burka ins Wasser darf.
Polizeiliche Arbeit in der multikulturellen Gesellschaft
Die multikulturelle Begegnung gestaltet sich zuweilen schwierig. Einerseits wird uns Fremdenfeindlichkeit, Ungleichbehandlung und Kriminalisierung fremder Kulturen durch selektive Kontrollen vorgeworfen. Dadurch würde die sowieso höhere Anzeigebereitschaft der Bürger gegenüber Fremden verstärkt. Dieser Effekt wird in der Forschung als „labeling approach“ bezeichnet. Die Forschung kommt überwiegend zum Schluss, dass der Etikettierungseffekt gering ist. Keine der mir zugänglichen Quellen erkennt eine institutionelle Fremdenfeindlichkeit der Polizei, allenfalls in Einzelfällen persönliche Überlastungsreaktionen.
Die Bürgerpolizei wartet nicht bis sie angesprochen wird, sondern verlässt auch ihre Dienststellen und spricht selber an – z.B. durch Kontrollen.
Es besteht die Erfahrung der Beamten, dass zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten sich bestimmte Delikte ereignen. Belegbar ist auch, dass sich im Rahmen verstärkter Zuwanderung auch bestimmte Kriminalität erhöht. Kontrolliert wird – wer sich zu bestimmter Zeit an bestimmten Orten aufhält.
Der Gesamtbegriff Ausländerkriminalität hat in der Polizei wenig Bedeutung, weil er kaum Aussagen auf bestimmte Gruppen zulässt.
Trotzdem wird er in der Asyldebatte massiv etnisch-emotional aufgeladen. Mal wird sie nachgewiesen mal abgelehnt, mal ist die Polizei ausländerfeindlich, mal verharmlost sie angeblich in der Asyldebatte. Das Problem muss aber nach der Art des Aufenthalts und der Dauer zu unterschieden werden:
Handelt es sich um
- Langjährige Gastarbeiter (seit 1955 in Deutschland)
- Deren 2. u. 3. Generation – also deutsche Ausländer
- oder ausländische Deutsche (Russlanddeutsche)
- Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge aus sicheren Drittstaaten
- oder um Touristen aus der EU als durchreisende Einbrecher- und Räuberbanden ( als Erweiterungschance aus Bulgarien, Rumänien, Polen….
- Politische Terroristen
- Jugendliche Phasenkriminalität bei jungen Ausländern ?
- Legale Ausländer oder illegale Ausländern ?
Polizeialltag in der multikulturellen Gesellschaft
Die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen ist praktisch polizeilicher Alltag und deshalb mehr als für den Normalbürger sogar Normalität. Daraus ergeben sich für den einzelnen Polizeibeamten praktische Probleme.
- Es unterscheidet sich die Neigung zu Körperkontakt und Raumverhalten zwischen der deutschen Kultur und der arabisch, osteuropäischen, mediteranen Kultur.
- Der Deutsche an sich und der Polizeibeamte egal welcher Nationalität wird nicht gerne angefasst. Besonders in ungeklärten Lagen verlangen wird Distanz. Das wird mitunter als herablassend empfunden und wird konfrontativ.
- Die Bürgerpolizei übt Macht nicht sofort durch martialisches Auftreten, sondern eher durch Sprache aus. Je nach Herkunftsland und Erfahrung mit Polizei wirkt dies zuerst wie Schwäche. Insofern kommt es ständig zu interkulturellen Missverständnissen.
- Als Polizist lernt man schnell, Unsicherheiten auszuhalten (alles schreit herum ) oder zu warten (verlassen sie den Saal in Richtung Türe..) Trotzdem erfordern Polizeieinsätze zum Schluss eine „Klärung der Situation“. Während z.B. muslimische / orientalische Einwanderer einen sehr langen Zeitbegriff und ausgeprägte Debattierfreudigkeit an den Tag legen.
Kommunikationsprobleme
Dabei gibt es ständig arbeitspraktische Probleme, die eben nicht „gleich“ zu lösen sind, sondern die vor – Ort meist hervorragend improvisiert und gelöst werden müssen.
- Muslimische Wohnungen sollen nicht mit Schuhen betreten werden
- Bei der Verkehrskontrolle wird akzeptiert, dass der beifahrende Mann mitspricht, damit niemand sein Gesicht verliert
- Die Amtssprache ist eben nicht nur deutsch sondern der Weg zum Dolmetscher (der auch ein vertrauenswürdiger Nachbar kann)
- Friedensstiftend kann auch ein Vorbeter im Hausstreit wirken
- 2 streitende Migrationsfamilien im Lehrsaal zusammen mit den Altvorderen sind keine Seltenheit
- Muslimische Beisetzungsrituale werden trotz beschlagnahmter Leiche in der Moschee in Anwesenheit eines deutschen Polizeibeamten muslimischen Glaubens durchgeführt
- Bei einer unfriedlichen Versammlung umarmen sich Polizeichef und Moscheevorstand und alle gehen nach Hause
Polizeibeamte neigen im ethischen Reflex dazu, sich insbesondere gegen den Vorwurf der Ungleichbehandlung zu wehren – während insbesondere Migranten gerade dies oftmals vorwerfen. Natürlich kann man nicht alle Sprachen lernen und muss deutsches Recht durchsetzen.
Der Berufsfalltag lässt insoweit starke Zuwanderung nicht immer nur als Bereicherung erscheinen.
Interkulturelle Kompetenz hat hier auch zwei Richtungen.
Die Rolle der Polizei muss auch in die Migranten hineingetragen werden.
Polizeikultur
Der Begriff Polizeikultur erfasst die Wertmaßstäbe aber auch Verhaltensmuster, die für Polizisten in der Ausübung ihres Berufes prägend sind.
Die Aufgaben der Polizei sind natürlich gesetzlich festgelegt. Die Art und Weise, wie Polizisten und Polizistinnen die Aufgaben erfüllen, kann kaum verwaltungstechnisch organisiert werden. Das konkrete Handeln ergibt sich eher aus der offiziellen Polizeikultur (Leitbild) und der gelebten Polizistenkultur. Das ist in jeder Firma so.
Mit dem Unterschied, dass Polizeikräfte immer wieder in Situationen agieren, in den Gewalt stattfindet. Immer irgendwie zwischen den Stühlen – wird die Durchsetzung demokratischer Prinzipien meist von mindestens einer Partei als nicht fair empfunden. Wer aber als Polizist erwartet, mindestens einmal täglich gelobt zu werden am – gilt frei nach Willy Brandt ( wer Visionen hat – muss zum Arzt..). Natürlich improvisieren wir laufend – das ist ja unserer Kernkompetenz.
Die Frage ist, inwieweit die Vorstellungen der Polizeimanager von den Verhaltensmuster des Alltags abweichen. Wie sich das Rollenverständnis aus Leitbild und Berufsausbildung an gewachsener Realität der Organisationskultur reibt. Dazu gehört die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu ihrer Polizei, also die Frage on Sie hier im Raum mit der Polizei zufrieden sind. Es gehört aber auch dazu wie die erweiterte Öffentlichkeit: Amnesty, Disziplinargerichte, kritische Polizisten, Medien, bestimmte Bevölkerungsschichten usw.) dies wahrnehmen.
Tatsache ist, dass das jährlich erhobene Vertrauensbarometer der Bevölkerung die Polizei nicht nur 2015 auf Platz 1 der angesehensten Berufe sieht.
Offenbar hat der Leitbildprozess als Ausdruck der Menschenwürde, aber auch weil es der politische Willen unserer Führungsebene ist, Erfolg in drei zentralen Aufgaben:
- der Polizei die Personalgewinnung,
- die Ausbildung
- im Handeln des einzelnen Polizisten.
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Wer in die Polizei eintritt, muss sich mit Multikulti nicht nur auseinandersetzen – er muss Multikulti positiv bewerten.
Hierzu gehören Generalziele, die in Baden-Württemberg polizeilich umgesetzt sind:
- Herkunftsoffene Personalpolitik – 20 % der Einstellungen sind Migranten
- Interkulturelle Ausbildung der Polizei Baden-Württemberg
- Praxisumsetzung der Anti-Diskriminierungsgesetzte
- Brückenbau zwischen Polizei und ethnischen Minderheiten
- interkultureller Ansprechparten bis auf Revierebene
- Absolute Offenheit und Transparenz bei der Lagebilddarstellung (kein Maulkorb für Polizeiführer)
- Unsere innere Führung ist kooperative und vertrauensbildend
- Sehr dichte Mitarbeiterbefragungen auf allen Ebenen zeigen uns das Stimmungsbarometer in der Polizei
- in der arbeitspraktische Probleme der „Front“ aufgenommen und zielorientiert gelöst werden. Die Polizeibeamten im Streifenwagen wollen gehört werden.
- Wenn Fehlentwicklungen geschehen – müssen sie als Verstoß gegen unser Leitbild aus disziplinär eingefordert werden
Fazit
Frei nach Ralf Dahrendorf gibt es eine sehr starke „sense of belonging“ – eine hohe moralische Schnittmenge in der Bevölkerung zur Vorstellung wie man zusammenleben will. Natürlich ist dieses Gemeinwohl christlich-abendländisch fundiert.
In der gemeinsamen Ordnung bleibt die polizeiliche Aufgabe gegenüber allen gleich.
Aber regeln können wir nur, wenn wir dabei die Verschiedenheit der Menschen anerkennen und die Rolle der Polizei am spezifischen Einzelfall messen. Die Rolle der Polizei betrifft auch die kommunalpräventive Beratung. Dies geht von Abschiebefragen bis zur Bauleitplanung – z.B. wenn wir uns in fachlichen Stellungnahmen gegen die Gettoisierung in Sammelunterkünften aussprechen. Die Zuwanderer sind selbst keine homogene Gruppe. Sie bringen unterschiedliche Religionen, Kulturen und Erfahrungen – auch Gewalterfahrung mit. Die Polizei kann ihre vielfältigen Aufgaben in diesem Bereich nur erfolgreich wahrnehmen, wenn gesellschaftlich anerkannt ist, das polizeiliches Handeln in erster Linie dem Schutz aller hier lebenden Menschen dient. Wir entwickeln Maßnahmen die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und der Flüchtlinge stärken und eine Radikalisierung der Bevölkerung verhindert, die Sicherheit in den Unterkünften ** und** vor Angriffen von außen erhöht, das rechtskonforme Verhalten der Zuwanderer fördert oder sanktioniert und Flüchtlinge über Gefahren informiert.
Dabei müssen wir uns auch diffusen Ängsten der Bevölkerung mit belastbaren Antworten stellen und das Vertrauen in die Polizei stark halten…
Die Polizei kann sehr viel zur Sachlichkeit in drängenden Fragen der Asyldebatte und zum Thema Migration bzw. Multikulti beitragen. Wir sind hier – auch ethisch - sehr gut aufgestellt.
Vielleicht auch mit dem heutigen Beitrag.
Herzlichen Dank – Peter Kremer